13 KiB
Betriebsmittelkennzeichnung in der Elektrotechnik – Alt vs. Neu
von Adam Skotarczak adam@Skotarczak.net
Dokument Aktuell in Bearbeitung
Inhalt
- Betriebsmittelkennzeichnung in der Elektrotechnik – Alt vs. Neu
- Inhalt
- 1. Hintergrund und Ziel der Betriebsmittelkennzeichnung
- 2. Die alte Norm: DIN 40719-2 und ihre Nachfolger
- 3. Die neue Norm: DIN EN IEC 81346-2 2020-10
- 4. Alt vs. Neu im Vergleich
- 5. Wann die neue Norm anzuwenden ist
- 6. Wichtige Unterschiede, die Umsteiger beachten müssen
- 6.1 Empfehlung für die Umstellung
- 6.2 Alt- vs. Neu-Kennbuchstaben
- 6.3 Wichtige Umstellungsregeln
- 7. Fazit
1. Hintergrund und Ziel der Betriebsmittelkennzeichnung
Die Betriebsmittelkennzeichnung dient dazu, technische Komponenten in Schaltplänen, Stücklisten und auf dem Objekt eindeutig zu identifizieren. In der Elektrotechnik – besonders im industriellen Anlagenbau – ermöglicht sie:
- Eindeutige Zuordnung zwischen Plan, Gerät und Funktion
- Effiziente Wartung und Fehlersuche
- Normgerechte Dokumentation für Kunden, Behörden und CE-Kennzeichnung
Über Jahrzehnte gab es unterschiedliche Systeme in Deutschland und international, was zu Inkompatibilitäten geführt hat. Heute gilt in Deutschland und der EU die DIN EN IEC 81346-2, die ältere nationale Normen abgelöst hat.
2. Die alte Norm: DIN 40719-2 und ihre Nachfolger
2.1 Historie
- DIN 40719-2: In Deutschland bis ca. 1995 Standard für Funktionskennzeichnung elektrischer Betriebsmittel.
- Abgelöst durch DIN EN 61346-2 (1998), die erste internationale Anpassung.
- Letzte Revision: DIN EN 61346-2:2009, mittlerweile ersetzt.
2.2 Kennbuchstaben (alte Logik)
In der alten DIN 40719 waren die Kennbuchstaben stark praxisorientiert. Beispiele:
Alt (DIN 40719) | Typische Bedeutung | Beispiel |
---|---|---|
A | Baugruppen, Aggregate, SPS-E/A-Module | Siemens SM 321 Digital Input |
C | Akku, Batterie, Puffer, USV | USV, UPS |
E | Erzeuger | Generator |
F | Sicherungen | Leitungsschutzschalter |
H | Signalisierung | Lampe, Summer |
K | Schaltrelais | Hilfsrelais |
M | Motoren | Drehstrommotor |
S | Schalter, Taster | Hauptschalter |
T | Transformatoren | Netztrafo |
X | Klemmen | Reihenklemme |
➡ Vorteil: Intuitiv für Praktiker, die Kennung oft selbsterklärend.
➡ Nachteil: Unterschiedliche Systeme in verschiedenen Ländern, Überschneidungen, fehlende Einheitlichkeit für andere Gewerke.
3. Die neue Norm: DIN EN IEC 81346-2 2020-10
3.1 Geltung und Einführung
- Internationale Norm: IEC 81346-2:2019
- Europäische Übernahme: EN IEC 81346-2:2019
- Deutsche Übernahme: DIN EN IEC 81346-2:2020-10
- Ersetzt DIN EN 61346-2:2009 vollständig.
- In Deutschland seit 2020 gültig.
- In der Industrie empfohlen und in manchen Bereichen faktisch vorgeschrieben, wenn harmonisierte Normen über die Maschinenrichtlinie gefordert werden.
3.2 Zielsetzung der neuen Norm
- Gewerkeübergreifend nutzbar (Elektrotechnik, Mechanik, Verfahrenstechnik)
- Eindeutigkeit: Kein Buchstabe steht mehr für völlig unterschiedliche Dinge in verschiedenen Branchen.
- Flexibilität durch Unterklassen (A1, A2, A3)
- Internationale Kompatibilität
3.3 Beispiel: SPS
- SPS-CPU → K (Verarbeitung von Signalen)
- SPS-Eingangs-/Ausgangsmodul → K (sofern keine Schutzfunktion)
- Sicherheits-SPS → F (Schutzfunktion)
4. Alt vs. Neu im Vergleich
Alt (DIN 40719) | Neu (DIN EN IEC 81346-2) | Bemerkung |
---|---|---|
A = Baugruppe | Nicht belegt | Heute meist K oder B, je nach Funktion |
H = Lampe | E = Aussenden | E/EA für Beleuchtung, H heute „Behandlung von Stoffen“ |
K = Relais | Q oder K | K für Logikrelais, Q für Leistungsschalter/Schütze |
M = Motor | M | Unverändert in der Grundbedeutung |
S = Schalter | S | Unverändert in der Grundbedeutung |
T = Trafo | T | Unverändert |
X = Klemme | X | Unverändert |
5. Wann die neue Norm anzuwenden ist
5.1 Rechtliche Lage
-
Normen sind freiwillig – außer sie werden:
- In Gesetzen/Verordnungen genannt (z. B. Maschinenrichtlinie → harmonisierte Norm)
- Vertragsbestandteil
- Teil interner Werksnormen
-
Für CE-pflichtige Maschinen gilt: Anwendung harmonisierter Normen schafft Vermutungswirkung (Erleichterung bei Konformitätsbewertung).
-
In vielen Großunternehmen ist 81346 intern vorgeschrieben.
5.2 Praxis
- Neuprojekte → dringend empfohlen, gleich 81346 zu nutzen.
- Bestandsanlagen → keine Pflicht zur Umkennzeichnung, aber bei Erweiterungen ist eine Mischung möglich – sollte dokumentiert sein.
- Dokumentation für Kunden → wenn der Kunde 81346 fordert, ist das verbindlich.
6. Wichtige Unterschiede, die Umsteiger beachten müssen
-
Ein Buchstabe = eine Funktionsklasse
- Alte „H = Lampe“ geht nicht mehr → jetzt „E“
- „A = SPS-Modul“ gibt es nicht mehr → jetzt „K“
-
Schutzfunktion vs. Steuerfunktion trennen
- Sicherheits-SPS und Sicherheitsrelais → F
- Normale Steuergeräte → K
-
Unterklassen nutzen
- Hauptklasse „E“ → Unterklasse „EA“ für Lampe, „EH“ für Heizung
-
Mehr als Elektrotechnik
- Norm gilt auch für mechanische und verfahrenstechnische Betriebsmittel → Kennbuchstaben sind universeller.
-
Interne Übergangslösungen
- Falls Umstellung nicht sofort möglich, klare Zuordnungstabelle „alt → neu“ erstellen und in der Projektdokumentation führen.
6.1 Empfehlung für die Umstellung
-
Schrittweise Migration:
- Bei Neuprojekten sofort 81346 anwenden.
- Bei Umbauten bestehender Anlagen: neue Betriebsmittel nach 81346 kennzeichnen, alte Kennungen in Klammern beibehalten.
-
Legende beilegen:
- Alte und neue Buchstaben in den Plänen erklären.
-
Schulungen intern:
- Elektriker und Konstrukteure müssen die neue Systematik verstehen.
-
CAD-System vorbereiten:
- QElectroTech, EPLAN, WSCAD etc. auf 81346 umstellen und interne Makros/Artikeldaten anpassen.
6.2 Alt- vs. Neu-Kennbuchstaben
Alt (DIN 40719 / Praxis) | Typische Bedeutung alt | Neu (DIN EN IEC 81346-2:2020-10) | Neue Funktionsklasse (A1) / Hinweis |
---|---|---|---|
A | Baugruppe, SPS-E/A-Modul, Aggregat | K oder B | K = Steuerlogik (CPU, I/O-Module), B = Erfassen (Messmodule) |
B | Signallampe / Summer (manchmal auch Messgerät) | P | P = Information bereitstellen (Anzeige, Summer) |
C | Kondensator | C | C = Speichern von Energie |
D | Gleichrichter, Ladegerät | G oder T | G = Energie bereitstellen, T = Transformieren, je nach Funktion |
E | Erzeuger (Generator) | G | G = Energie bereitstellen |
F | Sicherung, FI, LS-Schalter | F | F = Schutzobjekt |
G | Signalgeber (akustisch/optisch) | P | P = Anzeige/Hupe |
H | Lampe / Leuchte | E (EA) | E = Aussenden, EA = Beleuchtung |
K | Relais, Schütz | K oder Q | K = Logikrelais, Q = Schütz/Leistungsschalter |
L | Spule, Magnetventilspule | M oder Q | M = mechanische Bewegung (Magnet), Q = Leistungsschalter |
M | Motor | M | M = mechanische Bewegung |
N | Erdungspunkt / Neutralleiter | W | W = Leiten/Führen |
P | Messgerät | P | P = Anzeigen |
Q | Leistungsschalter | Q | Q = Durchfluss/Energiefluss steuern |
R | Widerstand | R | R = Begrenzen/Stabilisieren |
S | Schalter, Taster | S | S = Menschliche Betätigung |
T | Transformator | T | T = Transformieren |
U | Steckdose | X | X = Schnittstelle/Verbinden |
V | Ventil | Q | Q = Durchfluss steuern |
W | Kabel, Leitung | W | W = Leiten/Führen |
X | Klemme | X | X = Schnittstelle |
Y | Spezialgerät (sonst nicht zuordenbar) | je nach Funktion | Funktion ermitteln und zuordnen |
Z | Zeitschaltuhr | K oder F | K = Logik, F = Schutzfunktion |
6.3 Wichtige Umstellungsregeln
-
Funktion entscheidet, nicht Bauform
- Eine SPS-CPU mit Sicherheitsfunktion → F, nicht K.
- Ein Relais, das Motoren schaltet → Q, nicht K.
-
Unterklassen nutzen
- E → EA (Lampe), EH (Heizung)
- F → FA (Leitungsschutzschalter), FB (FI-Schalter)
- K → KA (CPU), KB (I/O-Modul)
-
Bei Mischanlagen
- Altkennungen in Klammern beibehalten, z. B.:
=K1 (alt: -A1)
- Legende in der Dokumentation hinterlegen.
- Altkennungen in Klammern beibehalten, z. B.:
-
Häufige Stolperfallen
- H ist nicht mehr Lampe → jetzt E/EA.
- A ist nicht mehr Baugruppe → je nach Funktion K oder B.
- K ist nicht automatisch Schütz → für Leistungsschütze Q.
7. Fazit
Die Umstellung von DIN 40719/DIN EN 61346 auf DIN EN IEC 81346-2 ist mehr als ein reiner Buchstabentausch – es ist ein Paradigmenwechsel:
- Von elektrospezifisch → zu gewerkeübergreifend
- Von historisch gewachsenen Kürzeln → zu klarer Funktionslogik
- Von Deutschland-Standard → zu internationaler Vereinheitlichung
Für dich als Praktiker bedeutet das:
- Du musst einige liebgewonnene Kennbuchstaben ablegen (H = Lampe, A = Baugruppe …)
- Dafür bekommst du ein System, das weltweit verstanden wird, eindeutig ist und langfristig verpflichtend sein wird.
Hier ist die Alt-/Neu-Umsetzungstabelle für Betriebsmittelkennzeichnungen – links die alte DIN 40719-2 (bzw. gängige Industrie-Praxis), rechts die neue DIN EN IEC 81346-2:2020-10.