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Betriebsmittelkennzeichnung in der Elektrotechnik Alt vs. Neu

von Adam Skotarczak adam@Skotarczak.net
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Inhalt

1. Hintergrund und Ziel der Betriebsmittelkennzeichnung

Die Betriebsmittelkennzeichnung dient dazu, technische Komponenten in Schaltplänen, Stücklisten und auf dem Objekt eindeutig zu identifizieren. In der Elektrotechnik besonders im industriellen Anlagenbau ermöglicht sie:

  • Eindeutige Zuordnung zwischen Plan, Gerät und Funktion
  • Effiziente Wartung und Fehlersuche
  • Normgerechte Dokumentation für Kunden, Behörden und CE-Kennzeichnung

Über Jahrzehnte gab es unterschiedliche Systeme in Deutschland und international, was zu Inkompatibilitäten geführt hat. Heute gilt in Deutschland und der EU die DIN EN IEC 81346-2, die ältere nationale Normen abgelöst hat.


2. Die alte Norm: DIN 40719-2 und ihre Nachfolger

2.1 Historie

  • DIN 40719-2: In Deutschland bis ca. 1995 Standard für Funktionskennzeichnung elektrischer Betriebsmittel.
  • Abgelöst durch DIN EN 61346-2 (1998), die erste internationale Anpassung.
  • Letzte Revision: DIN EN 61346-2:2009, mittlerweile ersetzt.

2.2 Kennbuchstaben (alte Logik)

In der alten DIN 40719 waren die Kennbuchstaben stark praxisorientiert. Beispiele:

Alt (DIN 40719) Typische Bedeutung Beispiel
A Baugruppen, Aggregate, SPS-E/A-Module Siemens SM 321 Digital Input
C Akku, Batterie, Puffer, USV USV, UPS
E Erzeuger Generator
F Sicherungen Leitungsschutzschalter
H Signalisierung Lampe, Summer
K Schaltrelais Hilfsrelais
M Motoren Drehstrommotor
S Schalter, Taster Hauptschalter
T Transformatoren Netztrafo
X Klemmen Reihenklemme

➡ Vorteil: Intuitiv für Praktiker, die Kennung oft selbsterklärend.
➡ Nachteil: Unterschiedliche Systeme in verschiedenen Ländern, Überschneidungen, fehlende Einheitlichkeit für andere Gewerke.


3. Die neue Norm: DIN EN IEC 81346-2 2020-10

3.1 Geltung und Einführung

  • Internationale Norm: IEC 81346-2:2019
  • Europäische Übernahme: EN IEC 81346-2:2019
  • Deutsche Übernahme: DIN EN IEC 81346-2:2020-10
  • Ersetzt DIN EN 61346-2:2009 vollständig.
  • In Deutschland seit 2020 gültig.
  • In der Industrie empfohlen und in manchen Bereichen faktisch vorgeschrieben, wenn harmonisierte Normen über die Maschinenrichtlinie gefordert werden.

3.2 Zielsetzung der neuen Norm

  • Gewerkeübergreifend nutzbar (Elektrotechnik, Mechanik, Verfahrenstechnik)
  • Eindeutigkeit: Kein Buchstabe steht mehr für völlig unterschiedliche Dinge in verschiedenen Branchen.
  • Flexibilität durch Unterklassen (A1, A2, A3)
  • Internationale Kompatibilität

3.3 Beispiel: SPS

  • SPS-CPU → K (Verarbeitung von Signalen)
  • SPS-Eingangs-/Ausgangsmodul → K (sofern keine Schutzfunktion)
  • Sicherheits-SPS → F (Schutzfunktion)

4. Alt vs. Neu im Vergleich

Alt (DIN 40719) Neu (DIN EN IEC 81346-2) Bemerkung
A = Baugruppe Nicht belegt Heute meist K oder B, je nach Funktion
H = Lampe E = Aussenden E/EA für Beleuchtung, H heute „Behandlung von Stoffen“
K = Relais Q oder K K für Logikrelais, Q für Leistungsschalter/Schütze
M = Motor M Unverändert in der Grundbedeutung
S = Schalter S Unverändert in der Grundbedeutung
T = Trafo T Unverändert
X = Klemme X Unverändert

5. Wann die neue Norm anzuwenden ist

5.1 Rechtliche Lage

  • Normen sind freiwillig außer sie werden:

    • In Gesetzen/Verordnungen genannt (z. B. Maschinenrichtlinie → harmonisierte Norm)
    • Vertragsbestandteil
    • Teil interner Werksnormen
  • Für CE-pflichtige Maschinen gilt: Anwendung harmonisierter Normen schafft Vermutungswirkung (Erleichterung bei Konformitätsbewertung).

  • In vielen Großunternehmen ist 81346 intern vorgeschrieben.

5.2 Praxis

  • Neuprojekte → dringend empfohlen, gleich 81346 zu nutzen.
  • Bestandsanlagen → keine Pflicht zur Umkennzeichnung, aber bei Erweiterungen ist eine Mischung möglich sollte dokumentiert sein.
  • Dokumentation für Kunden → wenn der Kunde 81346 fordert, ist das verbindlich.

6. Wichtige Unterschiede, die Umsteiger beachten müssen

  1. Ein Buchstabe = eine Funktionsklasse

    • Alte „H = Lampe“ geht nicht mehr → jetzt „E“
    • „A = SPS-Modul“ gibt es nicht mehr → jetzt „K“
  2. Schutzfunktion vs. Steuerfunktion trennen

    • Sicherheits-SPS und Sicherheitsrelais → F
    • Normale Steuergeräte → K
  3. Unterklassen nutzen

    • Hauptklasse „E“ → Unterklasse „EA“ für Lampe, „EH“ für Heizung
  4. Mehr als Elektrotechnik

    • Norm gilt auch für mechanische und verfahrenstechnische Betriebsmittel → Kennbuchstaben sind universeller.
  5. Interne Übergangslösungen

    • Falls Umstellung nicht sofort möglich, klare Zuordnungstabelle „alt → neu“ erstellen und in der Projektdokumentation führen.

6.1 Empfehlung für die Umstellung

  • Schrittweise Migration:

    • Bei Neuprojekten sofort 81346 anwenden.
    • Bei Umbauten bestehender Anlagen: neue Betriebsmittel nach 81346 kennzeichnen, alte Kennungen in Klammern beibehalten.
  • Legende beilegen:

    • Alte und neue Buchstaben in den Plänen erklären.
  • Schulungen intern:

    • Elektriker und Konstrukteure müssen die neue Systematik verstehen.
  • CAD-System vorbereiten:

    • QElectroTech, EPLAN, WSCAD etc. auf 81346 umstellen und interne Makros/Artikeldaten anpassen.

6.2 Alt- vs. Neu-Kennbuchstaben

Alt (DIN 40719 / Praxis) Typische Bedeutung alt Neu (DIN EN IEC 81346-2:2020-10) Neue Funktionsklasse (A1) / Hinweis
A Baugruppe, SPS-E/A-Modul, Aggregat K oder B K = Steuerlogik (CPU, I/O-Module), B = Erfassen (Messmodule)
B Signallampe / Summer (manchmal auch Messgerät) P P = Information bereitstellen (Anzeige, Summer)
C Kondensator C C = Speichern von Energie
D Gleichrichter, Ladegerät G oder T G = Energie bereitstellen, T = Transformieren, je nach Funktion
E Erzeuger (Generator) G G = Energie bereitstellen
F Sicherung, FI, LS-Schalter F F = Schutzobjekt
G Signalgeber (akustisch/optisch) P P = Anzeige/Hupe
H Lampe / Leuchte E (EA) E = Aussenden, EA = Beleuchtung
K Relais, Schütz K oder Q K = Logikrelais, Q = Schütz/Leistungsschalter
L Spule, Magnetventilspule M oder Q M = mechanische Bewegung (Magnet), Q = Leistungsschalter
M Motor M M = mechanische Bewegung
N Erdungspunkt / Neutralleiter W W = Leiten/Führen
P Messgerät P P = Anzeigen
Q Leistungsschalter Q Q = Durchfluss/Energiefluss steuern
R Widerstand R R = Begrenzen/Stabilisieren
S Schalter, Taster S S = Menschliche Betätigung
T Transformator T T = Transformieren
U Steckdose X X = Schnittstelle/Verbinden
V Ventil Q Q = Durchfluss steuern
W Kabel, Leitung W W = Leiten/Führen
X Klemme X X = Schnittstelle
Y Spezialgerät (sonst nicht zuordenbar) je nach Funktion Funktion ermitteln und zuordnen
Z Zeitschaltuhr K oder F K = Logik, F = Schutzfunktion

6.3 Wichtige Umstellungsregeln

  1. Funktion entscheidet, nicht Bauform

    • Eine SPS-CPU mit Sicherheitsfunktion → F, nicht K.
    • Ein Relais, das Motoren schaltet → Q, nicht K.
  2. Unterklassen nutzen

    • E → EA (Lampe), EH (Heizung)
    • F → FA (Leitungsschutzschalter), FB (FI-Schalter)
    • K → KA (CPU), KB (I/O-Modul)
  3. Bei Mischanlagen

    • Altkennungen in Klammern beibehalten, z. B.: =K1 (alt: -A1)
    • Legende in der Dokumentation hinterlegen.
  4. Häufige Stolperfallen

    • H ist nicht mehr Lampe → jetzt E/EA.
    • A ist nicht mehr Baugruppe → je nach Funktion K oder B.
    • K ist nicht automatisch Schütz → für Leistungsschütze Q.

7. Fazit

Die Umstellung von DIN 40719/DIN EN 61346 auf DIN EN IEC 81346-2 ist mehr als ein reiner Buchstabentausch es ist ein Paradigmenwechsel:

  • Von elektrospezifisch → zu gewerkeübergreifend
  • Von historisch gewachsenen Kürzeln → zu klarer Funktionslogik
  • Von Deutschland-Standard → zu internationaler Vereinheitlichung

Für dich als Praktiker bedeutet das:

  • Du musst einige liebgewonnene Kennbuchstaben ablegen (H = Lampe, A = Baugruppe …)
  • Dafür bekommst du ein System, das weltweit verstanden wird, eindeutig ist und langfristig verpflichtend sein wird.

Hier ist die Alt-/Neu-Umsetzungstabelle für Betriebsmittelkennzeichnungen links die alte DIN 40719-2 (bzw. gängige Industrie-Praxis), rechts die neue DIN EN IEC 81346-2:2020-10.